Die ewige Liebe zur Loipe

Andrea Grossegger war die erste österreichische Biathletin, die jemals bei Weltmeisterschaften eine Medaille gewonnen hat. Das war 1984 im französischen Chamonix, als ihr die Bronzemedaille um den Hals gehängt wurde. Was vor und nach 1984 im Leben der Andrea Grossegger passierte, wer "der Russe" war und welche Rolle Kinderlieder für sie beim Training spielen, erzählt sie uns im Interview.  

Aller Anfang ist…

Als Andrea sich damals im Garten des elterlichen Hauses auf Holzskiern zwischen den Obstbäumen durchmanövrierte um auf den Fußballplatz zu gelangen, der zur Loipe führte, ahnte noch niemand, dass es sich dabei um die berühmten ersten Schritte handeln würde. Andrea wohl auch nicht: Sie war ein zehnjähriges Mädchen, das einfach Spaß am Sport im Schnee hatte - so wie ihre sechs Geschwister und wahrscheinlich jedes andere Kind, das in den 1970er Jahren in den Bergen groß wurde. Der Spaß sollte bleiben und sie mit Zwölf in den ÖSV-Kader und mit Vierzehn in die Schihandelsschule Stams in Tirol bringen. Der Spaß sollte auch dann nicht aufhören, als "der Russe" in ihr Leben trat, ihr neuer Trainer: "Beim ersten Trainingskurs bin ich eine ganze Woche lang die Stiegen verkehrt runtergegangen. Der Russe hat uns gezeigt, dass das, was wir bisher gemacht hatten, nur Training unter Anführungszeichen gewesen ist. Wir haben mit Steinen im Wald Krafttraining gemacht, sind 25 Kilometer gelaufen, haben Expander gezogen und das bei jedem Wetter," erzählt sie und wirkt dabei fast so, als würde sie die harte Schule vermissen, durch die "der Russe" die Mädchen damals gejagt hatte. Und irgendwie tut sie das auch, denn so hart das Training war, so sehr hat es sie auch weitergebracht. "Du siehst, dass der Körper so viel mehr aushält als der Kopf. Du lernst zu kämpfen, durchzuhalten, toleranter gegenüber den Schwächen von anderen zu sein und bekommst einen breiteren Blickwinkel," so Andrea. 

Und dann kam 1984

"... die erste Damen-Biathlon Weltmeisterschaft. Jeder Verband hat sich bereit erklärt, mindestens eine Dame zu schicken," erinnert sich Andrea, die zu jenem Zeitpunkt noch so gut wie keine Schießerfahrung hatte. Dennoch entschied sich der Verein dazu, die 21-Jährige im französischen Chamonix antreten zu lassen. "Dass ich den dritten Platz machte, war eine Riesenüberraschung," so Andrea. "Es war ja insgesamt überhaupt mein viertes Biathlon-Rennen."

Für Andrea sollte es die einzige bleiben - "aus zwei ganz einfachen Gründen": 1985 brachte sie ihren ersten Sohn zur Welt, zwei Jahre später folgte der zweite - Sven ist heute ebenfalls Biathlet. Gemeinsam mit ihrem Mann Reinhard engagiert sie sich im HSV Saalfelden, dem Heeressportverein. Dort ist sie heute Vizepräsidentin. Außerdem betreibt sie im Keller ihres Hauses in Saalfelden ein Sportfachgeschäft für Langläufer und hält Trainings ab - mit Kindern, Senioren, Trainierten und Untrainierten. Dass nordische Sportarten in den letzten Jahren wieder populär geworden sind, kommt ihr gelegen. Wie sie sich diesen Imagewandel erklärt? "Langlaufen ist gut für Gesundheit und das Herz, die Verletzungsgefahr ist klein, es ist kostengünstiger und auch der Zeitaufwand ist geringer: Bei uns liegt fast jedes Hotel an der Loipe und man kann sofort losstarten," so Andrea. Man sei draußen an der frischen Luft, erlebe die Natur auf eine unmittelbare Art und Weise, brauche keine teure Ausrüstung und könne auch nachts ein paar Runden drehen. Und: Langlaufen ist schnell gelernt. "Nach einer Stunde weiß man, wie’s geht. Das motiviert ungemein."

Sportler im Nordic Park in Saalfelden-Leogang | © Florian Lechner

Über den Rhythmus der Loipe 

Andrea liebt es, Menschen aller Art für das Langlaufen zu begeistern. Die Lernmethoden passt sie der Zielgruppe an. "Die Älteren gehen lieber rauf als dass sie runterfahren, weil sie Angst vor der Geschwindigkeit haben. Bei den Kindern ist es genau umgekehrt: Da lege ich den Fokus aufs Runterfahren und sie merken die Anstrengung beim Raufgehen gar nicht", sagt sie. Sie versucht, sich auf jede Person einzeln einzustellen und die Bewegungen anhand von Bewegungsabläufen aus dem Alltag zu erklären. Hin und wieder singt sie Kinderlieder vor. "... ‚Hänschen klein’ oder ‚Alle meine Entchen’, denn Langlaufen hat immer was mit Rhythmus und Gefühl zu tun." Und manchmal schimmert in ihren Methoden auch "der Russe" durch, wenn auch eine sehr gemäßigte Version: Auf der Website nennt sich das dann "Krafttraining in und mit der Natur".  

 

Bilder: Florian Lechner